Nachdem Charly von seinem Trainingslager zurückgekehrt ist, wundert er sich über Rikes neue Haarfarbe und Frisur. Rike freut sich und kann es kaum erwarten, dass er ihr die unglaubliche Skipiste vorführt. Sie ist Teil der Abiaufgabe für Berlin und Brandenburg vom letzten Jahr, die die Beiden schon seit einiger Zeit besprechen. Sie geht so:
Die originalen Teilaufgaben zur Skipiste
In einer Trainingshalle für Skiläufer ist eine Skipiste angelegt, auf der kurze Anstiege und Abfahrten trainiert werden können. Das Profil dieser Skipiste wird im Intervall [−7; 0] durch den Graphen der Funktion f0,5 modelliert. In den Intervallen [0; 4] und [4; 5] erfolgt die Modellierung der Profilkurve durch zwei quadratische Parabeln. Dabei werden die Parabeln so gewählt, dass die Profilkurve keinen Knick hat. Der Boden der Trainingshalle wird in der gleichen Profilansicht durch die x-Achse beschrieben.
In der Abbildung 3 ist die Profilkurve der Skipiste skizziert. Es gilt: 1LE = 5m.
m) Ein Skiläufer trainiert auf dem Streckenabschnitt, der durch G0,5 [Graph zu f0.5, Anm. von uns] modelliert wird.
Berechnen Sie den Höhenunterschied in Metern über dem Intervall [−7; 0].n) [Berechnung der "Querschnittsfläche" über dem Intervall [−7; 0] mit Angabe einer Stammfunktion.]
o) Begründen Sie, dass die Modellierung der Profilkurve im Intervall [0; 5] nicht mit einer quadratischen Parabel anstelle von zwei quadratischen Parabeln möglich ist.
p) Begründen Sie, dass die Profilkurve der Skipiste im Intervall [0; 4] durch eine Parabel mit der Gleichung y = ax² + c modelliert werden kann.
Berechnen Sie die Werte für a und c unter der Bedingung, dass die Querschnittsfläche für den Teil der Wand im Intervall [0; 4] eine Größe von 155m² hat.[Zitat von ebda.]
Rikes Reaktion
Rike Aha! Der Text ist schon wieder umständlich und missverständlich, aber sag mal, verstehe ich die Illustration richtig, Charly: Es gibt 2 Skipisten, die am selben Punkt starten. Der Höhenunterschied ist knapp 10 m, die eine Piste ist 25 lang, die andere 35 m? Sind das nicht viel zu kurze Anstiege und Abfahrten? Die kürzere, rechte Piste wirkt sehr steil … an der Stelle x = 4 hat sie eine Neigung von …, warte mal …, ca. 30 °. Ist das nicht viel zu steil? Und außerdem haben die beiden Pisten keinen Auslauf?!
Charly Rike, du sagst es! Kein ambitionierter Skifahrer würde so eine Halle besuchen. Du hast recht, die rechte Piste ist viel zu kurz, zu steil und ohne Auslauf! Ich hätte einen anderen Skalierungsfaktor gewählt, das Alpincenter Hamburg-Wittenburg hat eine 330 m lange Piste mit 57 m Höhendifferenz. Das sind reale Größenverhältnisse.
Die Formulierung der Aufgabe ist sehr unglücklich, nicht nur für dich, gerade auch für Schüler und Schülerinnen in Stresssituationen, wie in einer Abiprüfung. Und das Wichtigste: Der Anwendungsbezug der Aufgabe ist ganz und gar fehlgeschlagen! Ich bin so wütend darüber!
Rike Sehr traurig alles! Außerdem, was ist denn das für eine Illustration? Ich kann am rechten Rand weder den Funktionswert noch die Ableitung klar erkennen!
Charly Ja, das ist ein Schwachpunkt! Sieht aus wie ein typisches GeoGebra-Diagramm, nur die gestrichelte Linie für die Parabeln ist wohl handgezeichnet. Wir nehmen mal an, dass die rechte Kurve durch den Punkt (5, 0.4) geht und eine waagerechte Tangente hat. Ich habe mit diesen Werten die die beiden Parabeln bestimmt, obwohl das gar nicht gefordert war. Insofern sind die Werte eigentlich egal. Meine so gefundenen Parabeln habe ich mit einem Tabellenkalkulationsprogramm gezeichnet. Wenn du meine und die offizielle Diagramme vergleichst, sollten sie deckungsgleich sein.
Rike Super, Charly, dein Bild gefällt mir! So ist die Aufgabe weniger missverständlich!
Der Höhenunterschied des linken Teils (fa)
Charly Den Höhenunterschied im linken Teil kann ich schnell berechnen. Es war
fa(x) = (4a – x) ex/2
Dann kriege ich den Funktionswert ganz links mit a = 0.5 und x = –7:
f0.5(–7) = 0.27.
Der Höhenunterschied ∆ ist dann
∆ = |f0.5(2) – f0.5(–7)|
= |2 – 0.27| LE
= 1.73 LE
= 8.65 m
Da hattest du halbwegs recht.
Charlys Ansatz mit quadratischen Splines
Rike Gut. Wie hast du die Parabeln angesetzt?
Charly Wie in der Aufgabe gefordert, quadratisch, mit den Scheitelpunkten in x = 0 bzw. x = 5:
p1(x) = ax² + c
p2(x) = d(x – 5)² + f
Rike Okay.
Bestimmung der Absolutglieder c und f
Charly Mit dem Funktionswert an der Stelle x = 0:
p1(0) = 2
finde ich sofort
c = 2.
Dasselbe rechts an der Stelle für x = 5 habe ich:
p2(5) = 0.4.
Das ergibt
f = 0.4.
Bestimmung der Parameter a und f für p1 und p2
Jetzt fehlen nur noch die Parameter a und d. Dafür habe ich die Bedingung, dass die Piste keinen „Knick“ haben soll, also an der Stelle x = 4 stimmen die Funktionswerte und die Ableitungen der beiden Parabeln überein:
p1(4) = p2(4), (1)
p1'(4) = p2'(4). (2)
Die linke Seite von (1) ist
p1(4) = 16a + 2,
die rechte Seite von (1) ist
p2(4) = d + 0.4.
Jetzt kommt die Ableitung: Die linke Seite von (2) ist
die rechte Seite von (2) ist:
Rike Richtig, ein typischer Spline-Ansatz.
Charly Durch das Gleichsetzen der linken und rechten Seiten kriegen wir 2 Gleichungen in a und d:
16a + 2 = d + 0.4
8a = –2d
Rike Okay, sieht gut aus.
Charly Ja, die letzte Gleichung ergibt
a = – 2/8 d = – ¼ d,
das setze ich in die 1. Gleichung ein und erhalte nach einigen elementaren Umformungen
d = 0.32,
a = –0.08.
Charlys Splines
So kriege ich die beiden quadratischen Splines oder Parabeln:
p1(x) = –0.08x² + 2
p2(x) = +0.32(x – 5)² + 0.4.
Geometrischen Eigenschaften der beiden Parabeln
Rike Wenn Splines im Unterricht vorkommen und geübt werden, sollte das nicht so schwer sein. Standardmäßig werden für solche stückweisen Funktionen Polynome 3. Grades verwendet. Der zusätzliche Freiheitsgrad gegenüber deiner Skipisten-Aufgabe kann benutzt werden, um die Krümmung der Kurven stetig aneinander anzupassen. Sag mal, wäre es bei Skifahren nicht auch wichtig, nicht nur die Stetigkeit der Funktion und ihrer Ableitung zu fordern sondern auch die der Krümmung zu haben? An deiner Kurve sieht man, dass p1 eine Rechtskrümmung hat und p2 eine Linkskrümmung, aber einen Wendepunkt kriegst du mit einem quadratischen Polynom niemals!
Charly Stimmt! An der Stelle x = 4 oder nach 20 m ist eine Gefahrenstelle. Da saust man immerzu den Berg runter und dann plötzlich scheint es bergauf zu gehen. Wenn man mit dem Auto die Profilkurve entlangfahren würde, würde man quasi aus der Kurve geworfen.
Außerdem habe ich herausgefunden, dass das 2. Polynom zu stark gekrümmt ist: Wenn man bei x = 4 nicht gestürzt ist, dann hat man später große Schwierigkeiten mit der Krümmung auf den letzten 5 m!
Rike Hahaha!
***
Übungsaufgaben
- Welche sprachlichen Ungenauigkeiten gibt es in der Originalversion?
- Bestimme den Parameter a aus der Teilaufgabe p)!
- Berechne jetzt die Parabel p2, die an diese Parabel p1 mit dem neuen a anschließt!
- Welche geometrischen Konsequenzen gibt es?
- Erstelle selbst eine Abiaufgabe mit parametrischen Funktionen, Differenzieren, Integrieren und mit Bezug zum Skifahren!
Lösungen
1. Formulierungen
- Die Aussage "In den Intervallen [0; 4] und [4; 5] erfolgt die Modellierung der Profilkurve durch zwei quadratische Parabeln" sollte besser heißen: In den Intervallen [0; 4] und [4; 5] erfolgt die Modellierung der Profilkurve durch je eine quadratische Parabel.
- Der Satz "In der Abbildung 3 ist die Profilkurve der Skipiste skizziert" führt zur Verwirrung, denn er lässt vermuten, dass bisherige Aussagen illustriert sind. Tatsächlich muss man aus der Abb. 3 weitere Informationen nehmen, um die späteren Aufgaben zu lösen. Insbesondere hat das Wort "skizziert" drei verschiedene Bedeutungen (Dornseiff-Bedeutungsgruppen): planen, vorbereiten oder kürzen, die alle drei nicht zutreffen, siehe corpora.uni-leipzig.de/
- In "o) Begründen Sie, dass die Modellierung der Profilkurve im Intervall [0; 5] nicht mit einer quadratischen Parabel anstelle von zwei quadratischen Parabeln möglich ist" sollte es korrekt heißen: "nicht mit nur genau einer quadratischen Parabel..."
- Die Aufgabe "p) Begründen Sie, dass die Profilkurve der Skipiste im Intervall [0; 4] durch eine Parabel mit der Gleichung y = ax² + c modelliert werden kann. Berechnen Sie die Werte für a und c unter der Bedingung, dass die Querschnittsfläche für den Teil der Wand im Intervall [0; 4] eine Größe von 155m² hat" ist zum einen wegen der Formulierung "Querschnittsfläche für den Teil der Wand" unverständlich und zum anderen ist hier nur eine Bedingung formuliert für 2 Parameter a und c.
- Die Begriffe Profilkurve, Profilansicht und Querschnittsfläche nehmen Bezug auf die Anwendung und sind umgangssprachlich benutzt. Einerseits gibt es aber keine Aussage, wie diese Profilkurve ins Dreidimensionale fortgesetzt wird, und andererseits wäre es besser, mathematische Begriffe zu benutzen.
- a = –0.843 unter der Bedingung, dass c = 2 ist.
- p2(x) = +0.25(x – 5)² + 0.4
- Die Polynome p1(x) und p2(x) haben jetzt weder dieselbe Ableitung an der Stelle x = 4 noch dieselbe Krümmung.
- Charlys alternative Skipisten-Aufgabe ist im nächsten Beitrag